Migrations-Abwehr oder Wohlstands-Ausgleich

Europa und die Schweiz beobachtet Migration mit Angst, Angst vor Konkurrenz und Entfremdung. Und doch ruft unsere Ethik auch nach Mitleid, wenn wieder ein Flüchtlingsschiff im Mittelmeer sinkt oder asiatische Textilarbeiter bei einem Fabrikbrand ums Leben kommen. Im Dezember 2013 sterben 7 chinesische Arbeiter in einer Textilfabrik – in Italien[1].  Laut offiziellen Angaben leben 7’000 chinesische Migranten in der toskanischn Stadt Prato – zuzüglich illegale Einwanderer leben vermutlich gut 50'000 Chinesen im Textilindustrie-Quartier.

 

Dass ein asiatischer Arbeiter 50x weniger verdient als ein Europäischer, verängstigt hinsichtlich Konkurrenz; doch können wir uns dank der äusserst billigen Produktion materiellen Wohlstand im Überfluss leisten. Ist es ein erstrebenswertes Ziel oder eine Gefahr, wenn sich das globale Lohnniveau ausgleichen würde? Um wieder konkurrenzfähiger zu werden, fordert die USA die Aufwertung der chinesischen Währung. Was wäre die Konsequenz einer massiven Abwertung des USD gegenüber dem CNY? Mit gestärkter Kaufkraft würde Asien für die wachsende Konsumnachfrage mehr Energieressourcen zukaufen, sodass der Kraftstoff für die energiehungrigen Amerikaner teuer zu stehen käme. Für Amerikaner und Europäer würden nicht nur die Importe aus Asien teuer, mit kaufkräftigen Asiaten auf dem Weltmarkt würden alle Ressourcen und via Energiepreise auch (dünger-basierte) Lebensmittel, fossil-beheizter Wohnraum und Mobilität teuer. Wären wir bereit, unseren Wohlstand einzuschränken und uns wieder vermehrt selbst – innerhalb Europa oder gar der Schweiz – zu versorgen? Moralisch lässt es sich schwer gegen einen Ausgleich vom weltweiten Reich-Arm-Gefälle argumentieren; deshalb finanzieren wir etwas Entwicklungshilfe. Doch wer kann sich einen ausgeglichenen Endzustand vorstellen, bei gegebener Knappheit von Rohstoffen? Westeuropa und Nordamerika stellt soweit rund 10% der Weltbevölkerung, konsumiert jedoch 30% der Energieressourcen. Entweder wir erschliessen zukünftig 3x mehr Energie als bisher verfügbar, oder wir reduzieren unseren Bedarf auf 1/3. Beides klingt unglaublich.



[1] http://www.tagblatt.ch/aktuell/panorama/panorama/Sieben-Tote-in-Textilfabrik-in-Italien;art253654,3626037

Im Vergleich zu einem Wohlstandsausgleich mag es deshalb als das kleinere Übel erscheinen, etwas Migration zu tolerieren und die Einreisehürden möglichst hoch zu halten. Wir kämpfen für den Erhalt vom „Werkplatz Schweiz“ – für unsere hohen Einkommen – und wundern und wehren uns, wenn unsere Nachbarn zu uns kommen wollen. So mag der Misserfolg von Entwicklungszusammenarbeit unser Glück sein. Denn glücklich macht nicht das absolute Mass an Wohlstand, sondern das Gefühl mehr zu verdienen als die anderen. 

 

Als  Humanist des 21. Jahrhunderts engagiere ich mich jedoch für Gerechtigkeit und den Ausgleich, um zu einer „besseren Existenzform“ zu finden und einem Kollaps des ökonomisch-ökologischen Systems vorzubeugen.

 

Die Flussrichtung des Wohlstands - eine vergessene Geschichte

Bis ins 18. Jahrhundert lebten indische Weber in besseren Umstände als ihre britischen Gefährten. Bengalen war die Hochburg einer überlegenen Textilindustrie, und das Land, in dem sich Gold und Silber akkumulierte. Um an hochwertige Stoffe und Gewürze zu kommen, exportierte Europa rund 1/3 vom Silber nach Asien, das es in den amerikanischen Kolonien erbeutet hatte. 1750 stellte Indien 25% der Welt-Industrieproduktion – gegenüber Grossbritanien mit 1.9%.  Nachdem 1757 der König von Bengalen mit Unterstützung der britischen East India Company gestürzt wird, wendet sich die Flussrichtung vom Wohlstand innert weniger Jahren [1]. Mit der erlangten Staatsgewalt werden die indischen Preise gedrückt und die Exporte mit indischen Steuergeldern finanziert. 1770 verhungern bis zu 10 Millionen Indern. Es sind die Missstände um diese privaten Monopol-Handelsgesellschaft, die Adam Smith zu seiner Wirtschaftstheorie „Wealth of Nations“ treibt.

 

Während ich mich heute als aufgeklärter Europäer frage – wie können wir diese Ungerechtigkeit zwischen den Kontinenten ausgleichen – war es für Grossbritannien im 18./19. Jahrhundert ein gewaltsam-erfolgreiches Bestreben, sich ein Stück vom asiatischen Wohlstand abzuschneiden. So wurde auch das alt-ehrwürdige chinesische Kaiserreich nicht geschont. Nachdem die East India Company ihr Handelsmonopol zugunsten privater Händler aufgeben musste, wurde der Opiumanbau die wichtigste Einnahmequelle. Die aufstrebenden europäischen Handelshäuser waren glücklich chinesischen Tee gegen illegale Rauschgift-Lieferungen handeln zu können; offiziell akzeptierte China ausschliesslich Silber als Zahlungsmittel – die selbstzufriedene Hochkultur benötigte vom barbarischen Europa nichts anderes. Um Tee zu kaufen flossen zwischen 1801 und 1810 flossen 385 t Silber nach China. Den Weisungen vom chinesischen Kaiser trotzend erhöhten britische Händler die Opium-Exporte von 300 t in 1801 auf 1500 t in 1833, sodass nun nicht nur Tee sondern auch Silber zurückgewonnen werden konnte. Als die chinesischen Behörden 1839 über 1000 Tonnen Opium konfisziert und vernichtet, lässt ein eigenwilliger britischer Admiral Kriegsschiffe auffahren und besetzt Hong Kong. 1860 haben die europäischen Opium-Händler China erfolgreich in den Zerfall getrieben – der gewinnbringenden Drogenhandel wurden liberalisiert und die Exporte aus Indien auf 5400 t pro Jahr gesteigert. Wenn die US-Drogenfahndung heute gegen die kolumbianische Drogenmafia kämpft, weiss sie vielleicht von damals, was auf dem Spiel steht.

 

1930 schreibt Richard Katz über Shanghai[2]: „Diese Niederlassungen von Europäern und Amerikanern auf chinesischem Boden können sich denselben Luxus leisten wie Orchideen: zu blühen, zu duften und kostbar zu sein, ohne sich um ihre Ernährung bemühen zu müssen. Orchideen sind Schmarotzer. Noch unsere Generation wird die bunteste, üppigste Stadt des Ostens verdörren sehen. Es wird ein trauriger Anblick sein. Aber Bäume sind wichtiger als Orchideen. Und diese Stadt ist ungesund im Kerne. Der Gegensatz zwischen geniessenden Spekulanten und darbender Bevölkerung ist allzu krass.“ Zu Hong Kong berichtet er: „Es leben etwa 5000 Europäer in Hong Kong. Die besiedeln gut 2/3 des bebaubaren Bodens. Ihre Parks und Klubs dehnen sich unbekümmert ins Weite, ihre Golf- und Kricket- und Tennisplätze beanspruchen Flächen, auf denen ganze Stadtviertel Raum fänden. Nun, und im letzten Drittel des Hong Kong Areals leben 1 ¼ Chinesen. In verwahrlosten Mietkasernen wohnen sie, mehrere Familien in einem Zimmer, in Bretterbuden und in Erdhölen.“ Es folgt die japanische Besetzung im 2.Weltkrieg - „Asien den Asiaten“ - und das kommunistische China.

 

Heute wie früher kommen mit allen Herrlichkeiten gefüllte Schiffe aus Asien, statt Silber akkumulieren sich US-amerikanische Staatsanleihen in China. Bis zum 2. Weltkrieg waren Edelmetall-Währungen üblich, heute ist das Zusammenspiel der Währungen weit weniger handfest. Kann sich die Flussrichtung des Wohlstands so schnell umdrehen wie im 19. Jahrhundert? Solange ein starker USD im Interesse der asiatischen Machthaber ist, funktioniert die US-amerikanische Schuldenwirtschaft. Die Interessen der asiatischen Entscheidungsträger, die mit Europa und Amerika viel Geld verdienen, decken sich kaum mit den Interessen asiatischen Textilarbeiter, deren Lohnforderungen mit Staatsgewalt klein gehalten werden[3]



[1] The Company that Changed the World – how the East India Company shaped the Mordern Multinational“ Nick Robins, Pluto Press, 2012

[2]„Funkelnder Ferner Osten“ China-Reise 1929/30 von Richard Katz, Schweizer Druck- und Verlagshaus AG Zürich, 1961

[3]http://www.tagblatt.ch/aktuell/wirtschaft/wirtschaft-sda/Wir-werden-wie-Sklaven-behandelt;art253651,3683117

 
 

Organisation des Wohlstands

Eine aus dem Demokratieverständnis entwickelte unternehmerische Freiheit, Kapital aus imperialistischen Gewinnen und Erkenntnisse zur Nutzung von Energie-Ressourcen führte im 19.Jahrhundert in Europa zu einem einzigartigen Wirtschaftswachstum. Die sich beschleunigenden Aufstiegsphasen enden in der unregulierten Wirtschaft jedoch immer wieder in Krisen. Mit Wachstum und Fusionen streben Unternehmen nach Monopolmacht; die wachsenden Monopol-Gewinne führen irgendwann wegen überteuerten Preisen zu Absatzproblemen, Umsatzrückgang führt zu Entlassungen, gefolgt von zusätzlichem Konsumrückgang, bis zum Börsencrash – da Unternehmen ohne Monopol-Gewinne an Wert verlieren – weitere Arbeitslosigkeit ist die Konsequenz. Nach der Wirtschaftskriese um 1930 und dem anschliessenden Weltkrieg ist das Vertrauen in die Märkte zerstört. Hätte der Staat nicht mit Regulierung oder Verstaatlichung soziale Ziele in die Marktwirtschaft eingebracht, wären die Sozialismus-Sympathien im leidenden Volk gewachsen. Staatsinterventionen nach der Theorie von Keynes retteten den Kapitalismus. Vervielfachte Erdölpreise und daraus resultierende Inflation werden jedoch zum Hauptproblem um 1980; deshalb greift Grossbritanniens Iron Lady Margret Thatcher die Liberalisierungs-Ideen von Hayeks und der Chicagoer Schule auf und lanciert die Privatisierung von Staatsunternehmen. Nur wenige Jahre später privatisiert die Sowjetunion Ihr Staatseigentum. Die russischen Führungspersonen  haben sich der sozialen Verantwortung entledigt und sich als Finanz-Oligarchen neu erfunden, unter Applaus vom Westen. Der Markt beginnt sich global durchzusetzen. Nachdem sozialistische Ideale verflogen sind, erkennen in den 90er Jahren Asiatische-Tigerstaat-Machthaber ihre Chance, mit billigen Arbeitskräften Gewinne auf dem Weltmarkt zu erzielen. Modernste Produktion in Asien lässt den Eindruck erwecken, dass sich der asiatische Lebensstandard dem Westlichen annähert. Doch wenn der Ausgleich voran schreiten würde, verlieren die asiatische Produktion ihren Wettbewerbsvorteil. Für die herrschende Oberschicht ist deshalb ein Wachstum vom Volkseinkommen kaum wünschenswert.

 

Auch wenn dies kommunistischen Idealen zuwiderläuft, kann der Eindruck entstehen, als ob die Kommunistische Partei von China den „Erfolgsweg“ der Tigerstaaten kopiert hat: Erfolg durch staatlich kontrollierte Konzerne. In Europas Demokratien waren Staatskonzerne mit sozialen Zielsetzungen verbunden; die Staatsmacht über Unternehmen kann jedoch auch ohne soziale Verantwortung ausgeübt werden – zum Vorteil der herrschenden Klasse und zum Erhalt dieser Vorteile. Schützt der Name „Kommunistische Partei“ vor einer zukünftigen sozial(istisch)en (R)evolution in China? Gibt es für China eine Möglichkeit und einen richtigen Zeitpunkt für einen Wendepunkt zugunsten der breiten Masse? Wenn China aufhört die US-Staatsschulden zu finanzieren und einen Kaufkraft-Zuwachs der chinesischen Währung zulässt, sollte Inlandkonsum anstelle vom Exportmarkt treten. Die wirtschaftlichen Rahmenbedinungen sind formbar; technisch und logistisch sollte dieses Ziel machbar sein? Die Frage ist, ob die Chinesische Führung einen solches Szenario plant, anstrebt oder explizit nicht will.

 

Sollen wir gegen dieses Szenario kämpfen, oder den Ausgleich begrüssen und uns vorbereiten? In USA und Europa verliert der Staat durch Überschuldung an Macht. „Staat oder Markt“ [1] fragt Daniel Yergin und beurteilt die aktuelle Situation: „(...) wenn der Markt bei den Ergebnissen, der Qualität seiner Regeln und der Selbstbeschränkung scheitert, und sein Nutzen exklusiv beschränkt statt möglichst breit verteilt zu sein scheint, wenn er den Missbrauch privater Macht und das Gespenst roher Gier heraufbeschwört, dann wird er sicherlich einen Rückschlag erleiden- eine Rückkehr zu stärkerer staatlichen Intervention, staatlicher Steuerung und Kontrolle.“

 

Wenn Staaten ihre soziale Verantwortung nicht erfüllen können, sollen oder wollen: Kann sich eine Unternehmensform entwickeln, welche soziale Verantwortung übernimmt? Eine Institution, die mit und für seine Mitglieder produziert, die den Wohlstand organisiert/optimiert ohne Arbeitslosigkeits-Drohung und negative externe Effekte? Ich sehe hier das Genossenschaftswesen als Ansatz eines dritten Weges zur Weiterentwicklung.



[1] Staat oder Markt“ Die Schlüsselfrage unseres Jahrhunderts, Daniel Yergin, Campus Verlag Frankfurt am Main, 1999

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Heinrich Lüthi-Studer

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eine Fachgruppe der SSES, Heinrich Lüthi hat seit der Gründung bis 2022 im Vorstand mitgewirkt und ist Präsident der Regionalgruppe Nordostschweiz

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Empfehlenswerte Solargenossenschaften:

Genossenschaft Solar St.Gallen, produziert Solarstrom für über 400 Haushalte. Seit der Gründung 2012 hat ibee studer Projekte mit über 2000 kWp ans Netz begleitet und ist auch für den Anlagenbetrieb zuständig.

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ADEV Energiegenossenschaft bzw. ADEV Solarstrom AG, Betreiber von über 50 Solarstromanlagen in der ganzen Schweiz, sowie Wasser-/Windkraftanlagen und Holz/BHKW-Wärmeverbünden. Hierfür habe ich gearbeitet, bevor ich in St.Gallen selbstständig wurde.

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